Montag, 12. September 2011

*Gedanken[p]ranke

Seit letzter Zeit habe ich vermehrt das Bedürfnis entwickelt, die Gedanken in mir zu verschriftlichen. Sich einfach (mehr) mitzuteilen, auch wenn die Weise, auf die dies erfolgt, ihre Tücken hat, erscheint es mir wichtig. So starte ich eine Art „Gedanken[p]ranken“ – Ranken zu Gebieten, zu denen mich meine Gedanken führten. Zugleich Pranken von ihrer Bewegung her – einnehmend und ausschlagend. Auslöser waren nicht nur Bücher, Filme, Kunst generell, auch Ereignisse, die vor allem mich betrafen o d e r zumindest streiften. Ich merke auch immer mehr, wie wichtig es ist innezuhalten, sich seiner Innerlichkeit und inneren/äußeren Eindrücken zuzuwenden…
Es ist nicht mein primäres Anliegen, doch fände ich es gut, den einen oder anderen zu animieren durch das, was ich mitteile; sei es ein angenehmer, kurzfristiger oder negativer Impuls.


Versuch # 1


Warum Rilke / Darum Rilke

In der Schulzeit las ich alle Bücher, die uns Lehrer als Pflichtlektüre auftrugen – ohne großen Protest, mit Hingabe, phasenweiser Unlust. Darüber hinaus kaum, und falls doch, so scheint dies in meiner Hirnabteilung nicht verzeichnet. Außer „Der Gurkenkönig“ – eines Sommers fand ich ihn zufällig in unserem ungarischen Ferienhaus, das war´s auch schon mit der Anekdote. Ich las gerne, diskutierte mit, aber Lesen war nicht einmal ein Hobby für mich (ich mag das Wort „Hobby“ nicht, deswegen habe ich es verwendet). Mit siebzehn, anbrechenden achtzehn Jahren änderte sich dies. Es lag nicht nur am Ausarbeiten der Spezialgebiete (komischerweise war ich da sehr ehrgeizig und früh dabei, sie zu erstellen). Camus´ „Der Fremde“ und vieles aus seinem Lebenswerk war mein ersterer, intensiverer Kontakt zum Lesen. (Mittlerweile ist meine Einschätzung bezüglich Camus´ Literatur in ihrer idealisierenden Ausschließlichkeit verflogen, aber nicht ganz. Mich faszinierte und fasziniert nach wie vor, wie aktiv er Natur beschreibt bzw. aufleben lässt.) In der achten Klasse suchte ich begleitend zu den klassischen, repräsentativen Werken der deutschen Strömungen, wie wir sie im Deutschunterricht erfuhren, sekundäre Texte. Ich fing also an, mehr oder weniger eigens zu reflektieren. Ich habe mich mehr Texten hingegeben, Zustände kennengelernt, die ich zuvor nicht oder kaum kannte, am wenigsten in mir selbst. Ich habe bei Filmen geweint (Schweinchen Babe 2  - als der Hund träumte, seine Räderkrücken abzuwerfen und in einer sonnendurchfluteten Wiese herumzuspringen…das alles in einem polnischen Kleinkino. Oder bei König der Löwen – völlig verständlich, als Mufasa fallengelassen wird und stirbt), aber bei Büchern nie – oder Tränen gelacht. Mit Camus und Borchert (wie hätte ich Tränen zurückhalten können?) kam die Wende. Meine Wende. Nun ja, mittlerweile kann ich sagen, es waren bis dato viele Wenden, auch Rückwenden. Ich habe das Gefühl (und vergewissere mich dessen oft), dass mir oft durch Zufall oder was auch immer Worte zukommen, die ich brauche und suche, ohne dass ich erpicht gedrängt danach suche.  So ähnlich war und ist es bei Rilkes Worten. Mir würden einige Metaphern für diese Wort-schätze einfallen, doch würden sie sich, denke ich, selbst rückziehen wollen, nachdem sie ausgesprochen bzw. aufgeschrieben wurden. Rilkes Arbeiten trafen mich in einer Zeit, an die ich mich ungern, wirklich ungern und zugleich verheilten Sinnes zurückerinnere. Die Liebe zu jemandem Großartigen nahm mich mehr mit, als ich mir eingestand, und ich konnte es nicht einmal als Liebe grob definieren, was viele Konflikte, vielfältigen Kummer und widersprüchliche Fragen aufwarf. Ich hatte mit einem mir vertrauten Feind zu kämpfen, vor allem auf körperlicher Ebene. „Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand“ – inhaliere ich diese Worte, offenbart sich mein Zustand wohl, besser kann ich es nicht mitteilen im Moment. Das universitäre Treiben und der familiäre Druck wurden zum Hindernis, einer Scheißhürde, die mir im buchstäblich im Magen lag. Es sind in dieser Zeit (jedoch) kraftvolle Texte meinerseits entstanden, die ich in selbstvergessenen Stunden, unter Fassungslosigkeit, Verzweiflung und Versöhnung, Hoffnungsaufleuchten extrahiert habe. Ich will nicht beurteilen, wie gut oder misslungen, sie sind Ausdruck, Ausbruch, Notwendigkeit…Leben (auch wenn ich es selbst manchmal nicht wahrhaben möchte).
Vielleicht schweife ich zu sehr ab oder umher, ich versuche nun, konkreter  zu schreiben. Ich besuchte eine Vorlesung zur deutschen Literaturgeschichte, Zeitraum 1848 – heute ungefähr. Es genügt wohl nicht lange zu eruieren, dass Rilke einer der Protagonisten war. Zu lesen waren „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ und einige Gedichte, interessehalber auch seine Schriften zur Literatur und Kunst.  Ich kenne niemanden, dessen Worte so umgarnen, beleben, heilen, entgiften, bestätigen, aussagen, wahrhaftig klingen, ohne schönzureden oder schwarzzumalen. Selbst ohne Vergleich hätte ich die Gewissheit, dass nur er solche Worte hinterlassen konnte. (Und so etwas wie Gewissheit über etwas zu haben, behaupte und fühle ich in ganz ganz wenigen Fällen.) Sie sind für mich Wunder, Balsam für Risse und Bruch mit Übeln, tiefgründig und unergründlich, das Leben in seinen Anfängen und Enden, die Zeit in ihrer Zeitlosigkeit und Realisierung / Entfaltung, Ja und Nein, Liebe…
Metaphern verlassen ihre Begriffsrändern, übersteigen sich und wirken nicht bloß als Metaphern.
Ein Mehr an Seele.
Ich feiere ein Fest meiner Existenz, unserer Existenz, wenn ich mich darin verliere. Wiederfinde - alte Wurzeln und sprießende Blüten meiner Selbst, selbst die, die an den Wurzeln verwelken.
Hier möchte ich nicht in meinen Sätzen unbedingt nachvollziehbar sein.
Mir fällt ein Schlagwort ein, mit dem Rilke in Verbindung gebracht wird – „Dingkult“. Vielleicht enthält seine Literatur visionäre Popart-Elemente, greift auf ironisierende Weise auf poetische Bilder wie die Rose oder den Garten zurück. Dinge sprachlich zu reflektieren, der Wahrnehmung willen.  Aber mit Sicherheit liegt seine Genialität nicht nur in diesem Bereich.
[Fortsetzung folgt]

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